Bedrohtes Welterbe: Die Chinesische Mauer zerfällt

Die Chinesische Mauer zählt zu den am meisten besuchten Touristenattraktionen der Welt. Doch das altertümliche Bauwerk ist vom Verfall bedroht. Die Regierung bemüht sich trotz chronisch klammer Kassen zumindest an ausgewählten Stellen um Restaurierung. Doch was wird aus dem Rest?

„Wer die Mauer nicht erklommen hat, ist kein Held.“ Angeblich soll der große Vorsitzende Mao Tse-tung diese Worte geäußert haben, um damit für eines der ältesten Wahrzeichen Chinas zu werben: die Große Mauer – das weltberühmte Bauwerk, welches vor Jahrhunderten gebaut wurde, um das chinesische Kaiserreich vor nomadischen Reitervölkern aus dem Norden zu schützen. Jeder kennt sie, hat schon von ihr gehört oder sie auf Bildern gesehen. Unzählige Menschen aus aller Herren Länder statten ihr jedes Jahr eine persönliche Visite ab. Allein 2015 waren es wieder mehr als 10 Millionen Besucher, und es werden jedes Jahr mehr.

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Beliebtes Touristenziel: Die Chinesische Mauer

43.000 einzelne Mauersegmente

1987 stufte die UNESCO die Chinesischen Mauer offiziell als „Welterbe“ ein. Mit stolzen 21.196 km hält sie zudem den Rekord für das längste Bauwerk der Welt. So ist ihr chinesischer Name „Wanli Changcheng“ denn auch gleichzeitig ein Synonym für „unendlich lang“. Dabei besteht die Mauer genau genommen gar nicht aus einem Stück, sondern vielmehr aus mehreren Teilsegmenten, die im Laufe der Zeit nach und nach entstanden und nicht alle direkt miteinander verbunden sind. Die Hauptmauer ist insgesamt 2.400 km lang. Ihr Bau geht auf die Zeit der Ming-Dynastie zurück (1368–1644), womit dieser Abschnitt als der neueste in der Geschichte bezeichnet werden kann. Meist ist er gemeint, wenn von der „Großen Mauer“ die Rede ist. Daneben erstrecken sich über 43.000 einzelne Mauersegmente, die vom östlichen Ende an der Grenze zu Nordkorea bis zum westlichsten Punkt in Jiayuguan fast das gesamte Land durchziehen.

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Chinesische Mauerbesucher: Ein Selfie mit dem Kulturerbe

Vorsätzlicher Abriss, um Material für neue Gebäude zu gewinnen

Allerdings ist die Chinesische Mauer seit Anfang des 20. Jahrhunderts stark vom Verfall bedroht. Natürliche Erosion durch Regen und Wind sowie vorsätzlicher Abriss durch Anwohner und Bauunternehmen, um Material für neue Gebäude zu gewinnen, gelten als die Hauptgründe für die Zerstörung. Natürlich hinterlassen aber auch die gigantischen Menschenmassen, die jedes Jahr zur Mauer pilgern, ihre Spuren. Nicht jeder geht mit dem Kulturerbe so um, wie es ihm eigentlich gebührt. So lassen sich etwa an vielen Stellen Graffiti-Spuren ausmachen. Des Nachts werden auch schon mal Lagerfeuer auf der Mauer entfacht, die das Fundament beschädigen. Dies wurde von der chinesischen Regierung allerdings mittlerweile verboten. Und nicht zuletzt kommen Besucher immer wieder auf die unsägliche Idee, Stücke der Mauer vorsätzlich herauszubrechen, um sie als Souvenir mitzunehmen, was letztlich viele ortsansässige Bauern dazu verleitet hat, mit Mauerstücken in großem Stil Handel zu treiben.

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Mauerruinen: Unaufhaltsamer Verfall

Nur noch 8 Prozent der Mauer sind intakt

Die Folgen der Zerstörung sind nicht zu übersehen: Allein von der Hauptmauer aus der Ming-Zeit sind heute laut jüngsten Schätzungen des Chinesischen Amtes für Kulturerbe nur noch etwa 8 Prozent intakt. 74 Prozent erhielten hingegen die Bewertung „in schlechtem Zustand“. An vielen Orten sind die für die Mauer charakteristischen Wachtürme vollständig verschwunden, an anderen Stellen existiert nur noch das Fundament. Um diesem schleichenden Verfall entgegenzuwirken, bemüht sich die chinesische Regierung trotz chronisch klammer Kassen zumindest an ausgewählten Stellen um Restaurierung. Die meisten davon befinden sich im Umland der Hauptstadt Peking.

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Rettungsversuche: Chinesische Arbeiter klopfen Mauersteine

Die Große Mauer als Freizeitpark

Insgesamt konnten hier bislang vier Abschnitte von Touristen besichtigt werden: Badaling (der am meisten besuchte Abschnitt), Mutianyu, Simatai und Juyongguan. Aufgrund des großen Besucherandrangs wurden jedoch im Jahr 2012 zwei weitere Mauerabschnitte restauriert und für Touristen geöffnet: Hefangkou und Huanghuacheng. Wie zu Zeiten der Ming-Dynastie sieht es dort allerdings nicht mehr aus. So bietet der zehn Kilometer lange Abschnitt bei Huanghuacheng zwar ein atemberaubendes Panorama mit mehreren Seen und Mauerabschnitten, die zum Teil unter der Wasseroberfläche liegen. Im Vordergrund steht aber ein touristisch fein abgestimmtes Freizeitangebot, das u.a. Floßfahrten, einen Hochseilgarten, zahlreiche Restaurants und Grillplätze beinhaltet. Zweifellos hat die Regierung viel Geld in die Schaffung dieses „Lakeside View“-Freizeitparks investiert.

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Staatlich finanzierter Freizeitpark: Die Chinesische Mauer bei Huanghuacheng

Rettungsversuche nur ein Tropfen auf dem heißen Stein

Doch was wird aus dem Rest der Mauer? Jenen 74 Prozent, die unbeachtet weiter verfallen? Im Juni 2015 lancierte die chinesische Regierung ein 30 Millionen Euro teures Projekt, im Rahmen dessen ein Mauerabschnitt bei Shandong restauriert und die umliegende Natur wieder aufgeforstet werden soll. Dieser Teil der Mauer ist von besonderer historischer Bedeutung, da er aus der Zeit der Qi-Dynastie stammt (770-476 v.Chr.) und somit zu den ältesten Abschnitten zählt. Insgesamt sollen bei den Arbeiten 61 km Mauer erneuert werden. Bereits 2011 hatte die Regierung über 200 Millionen Euro in die Restaurierung eines Mauerabschnitts bei Jiayuguan in der nordwestchinesischen Provinz Gansu investiert. Angesichts der überwältigenden Gesamtlänge der Mauer sind solche Rettungsversuche jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. So bleibt Peking nichts anderes übrig, als weiter dem fortschreitenden Zerfall ihres historischen Erbes zuzuschauen und zu versuchen, zumindest das Bewusstsein ihrer Bürger für den angemessenen Umgang mit dem gemeinsamen Kulturgut zu schärfen.

Wie ernst ist es der chinesischen Regierung mit der Rettung ihres Kulturerbes?

Als ersten Schritt in diese Richtung hat die Regierung 2006 ein Gesetz zum Schutz der Mauer eingeführt, das den Raub von Mauersteinen unter Strafe stellt. Wer dennoch dabei erwischt wird, muss mit einer Geldbuße von bis zu 5000 Yuan – umgerechnet ca. 680 Euro – rechnen. 2008 wurde erstmals ein Bauuternehmen verurteilt, weil es beim Abtragen von Mauersteinen erwischt worden war, um Platz für eine Autobahn zu schaffen. Der Schaden an der Mauer ging in die Millionen, die Strafe für das Unternehmen betrug dagegen nur 5.700 Euro. Angesichts solcher Missverhältnisse stellt sich dann doch die Frage, wie ernst es der Regierung tatsächlich mit der Rettung ihres Kulturerbes ist.

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