Das Eisbärgehege zählt zu den beliebtesten Attraktionen im Pekinger Zoo. Dass die Tiere unter den katastrophalen Haltungsbedingungen leiden, ist kaum einem Besucher bewusst. Dabei sind die Anzeichen nicht zu übersehen. InsightBeats war vor Ort und hat die Kamera drauf gehalten.
„Treffen sich zwei Eisbären in der Wüste.“ Mit diesem Anfangssatz sorgt ein altbekannter Witz bei Hörern seit jeher für Heiterkeit. Es ist die Absurdität des gezeichneten Bildes, die bereits einen komischen Effekt erzeugt, noch bevor man die Pointe gehört hat. Ist doch die Wüste der letzte Ort, an dem man die Anwesenheit von Eisbären vermuten würde. Allein die Vorstellung, ein an Schnee und zweistellige Minusgrade gewöhntes Tier in einer durch sengende Hitze, extreme Trockenheit und dauerhafte Sonneneinstrahlung geprägte Umgebung auszusetzen, erscheint völlig abwegig. In Peking jedoch ist diese Vorstellung traurige Realität, seit im Februar 2011 zwei Eisbären aus einem Moskauer Zoo in Chinas Hauptstadt verlegt worden sind.

Klimaverhältnisse wie in der Wüste
So befindet sich die Stadt inmitten eines Trockengebietes: Nördlich angrenzend liegt das karge, ausgedörrte Yanshan-Gebirge, gefolgt von den trockenen Steppen- und Wüstenlandschaften der Inneren Mongolei. Und nur 70 km von der Stadtperipherie entfernt wirft die Wüste Gobi bereits ihren Schatten voraus und frisst sich jeden Tag ein Stück näher an die Stadt heran. Massive Abholzungen und landwirtschaftliche Übernutzung haben massgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen. Die Folge sind heiße und trockene Winde, massive Sandstürme und immer weiter voranschreitende Desertifikation.

Temperaturunterschiede von 85 °C
Internationale Eisbärenforscher weisen schon seit langem darauf hin, dass die Tiere bei hohen Temperaturen unter regelrechtem Hitzestress leiden können und daher für die Haltung in warmen Gebieten nicht geeignet sind. Mit ihrem dichten Fell und einer elf Zentimeter dicken Fettschicht darunter sind Eisbären eher an Temperaturen um Minus 50 °C angepasst. Verglichen mit Tageshöchsttemperaturen von 35 °C in Peking ergibt sich somit ein Temperaturunterschied von 85 °C – ein Albtraum für den Polarbären, zumal seine einzige Möglichkeit zur Abkühlung lediglich ein 16 m² großes Wasserbecken ist.

Ständig wiederholte Bewegungsabläufe
Doch nicht nur die hohen Temperaturen machen den Tieren zu schaffen. Tierschutzorganisationen wie PETA oder der WWF bemängeln auch die räumliche Einschränkung, der die Eisbären in den oftmals viel zu knapp gehaltenen Zoogehegen ausgesetzt sind. Als Wandertiere seien Eisbären in freier Natur daran gewöhnt, täglich große Strecken zurückzulegen – manche bis zu 100 Kilometer pro Tag. Das gerade mal 720 m² große Eisbärgehege im Pekinger Zoo könne diese Bewegungsbedürfnisse kaum befriedigen. Als Folge stehen die Tiere permanent unter Stress, entwickeln Depressionen oder leiden unter Angstzuständen. In vielen Fällen weisen sie darüber hinaus schwere Verhaltensstörungen auf, die sich beispielsweise in ständig wiederholten und gleichbleibenden Bewegungsabläufen äußern. „Stereotypie“ nennen Tierforscher diese meist ziel- und sinnlosen Handlungen, die einen zwanghaften Charakter aufweisen und fast ausschließlich bei Tieren in Gefangenschaft zu beobachten sind.
Zoobetreiber: „Kein Kommentar“
So ist beispielsweise im obigen Video gut zu erkennen, dass der Eisbär pausenlos im Kreis läuft, seinen Kopf ruckartig hoch wirft und in der Luft mit ihm kreist. Dabei nähert er sich mit trägen Schritten immer wieder dem Eingang zu seinem Innenstall, nur um festzustellen, dass dieser verschlossen ist und daraufhin die gleiche Prozedur nochmal und nochmal zu wiederholen. Weshalb dem Eisbären der Zutritt in die gekühlten, Schatten spendenden Innenräume verehrt wird, konnte nicht abschließend geklärt werden. Der Zoobetreiber wollte sich auf Nachfragen nicht dazu äußern.
Bewusstseinswandel bei Tierhaltern und Zoobetreibern?
Derart gravierende Missstände in Tiergehegen sind keineswegs nur ein Problem des Pekinger Zoos. Generell haben Tierparks in China keinen allzu guten Ruf, wenn es um artgerchte Haltung oder Tierschutz geht. Jüngstes Beispiel für den Missbrauch von Tieren ist die Ausstellung eines Eisbären im „Grand View“-Einkaufszentrum in der südchinesischen Stadt Guangzhou. Dort sitzt der Polarbär „Pizza“ wie ein Verkaufsartikel hinter einer Schaufensterscheibe und posiert unfreiwillig für die Selfies der Mall-Besucher. Dabei wirkt er teilnahmslos und völlig apathisch. Ein Anzeichen dafür, wie sehr er unter den Haltungsbedingungen leidet. Mit einer Petition haben chinesische Tierschützer unlängst auf das traurige Schicksal des Eisbären aufmerksam gemacht und in den sozialen Netzwerken des Landes einen regelrechten Sturm der Entrüstung losgetreten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Proteste weiter zunehmen und letztlich auch bei den Haltern und Zoobetreibern zu einem Bewusstseinswandel führen werden.