Sieben Fragen an Manya Koetse, Gründerin und Chefredakteurin der Online-Plattform What’s on Weibo
Das Interview wurde auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.
Manya Koetse ist freie Journalistin und Begründerin der Online-Plattform whatsonweibo.com. Mit ihrem Blog wirft sie ein Schlaglicht auf das chinesische Twitter-Pendant Weibo und berichtet über Trend-Themen, die in der chinesischen Internet-Community gerade angesagt sind. Nach ihrem Abschluss in den Fächern China- und Japan-Studien sowie Literaturwissenschaft an der niederländischen Leiden Universität und einem anschließenden Master in Asien-Studien arbeitet Koetse gegenwärtig an ihrer Promotion. Dabei fokussiert sie sich inhaltlich in erster Linie auf die chinesisch-japanischen Beziehungen sowie die sozialen Medien in China. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit feministischen und Gender-Themen sowie mit der Popkultur.
Frau Koetse, wie sind Sie auf die Idee einer Webseite wie What’s On Weibo gekommen? Hat Sie jemand oder etwas bestimmtes dazu inspiriert?
Nachdem ich meinen Master in Asien-Studien abgeschlossen hatte, habe ich einfach nach einem Weg gesucht, auf dem Laufenden zu bleiben über alles was in China und in der chinesischen Gesellschaft passiert. Da ich keine Hausarbeiten und Aufsätze mehr schreiben musste, beschloss ich, fortan für mich selbst über China zu schreiben und ich fand, dass soziale Medien wunderbar als eine Art Barometer für die Stimmungen in der chinesischen Gesellschaft und die Themen, die sie aktuell beschäftigen, dienen können. Ich habe mich schon immer besonders für die sozialen Netzwerke und generell für die digitale Entwicklung in China interessiert. Es war vermutlich die Geschichte von Jia Junpeng, die mich im Jahr 2009 erstmals mit sozialen Trends und Memes in Berührung brachte und seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.
In Ihrem Blog widmen Sie sich den Trend-Themen, die in der chinesischen Internet-Community gerade angesagt sind. Wie nähern Sie sich diesen Geschichten und aus welcher Perspektive berichten Sie über sie?
Wenn ein bestimmtes Thema auf Weibo viral geht, ist der Anreiz darüber zu berichten, für mich sofort da. Wenn Hunderte oder Tausende von Menschen sich dazu bewogen fühlen, sich zu einem bestimmten Thema zu äußern, will ich unbedingt wissen, warum das so ist und was dahinter steckt. Viele Themen sind reine Spaß-Themen, die keiner weiteren Einordnung bedürfen. Daneben gibt es aber unzählige ernste Themen, die man in einem größeren Kontext betrachten muss. Ein Beispiel: Kürzlich tauchte im Internet ein Video auf, in dem ein Hund von seinem Besitzer misshandelt wurde. Eine Gruppe von Tierschützern stellte den Mann daraufhin und verprügelte ihn auf offener Straße. Das Thema ging auf Weibo innerhalb kürzester Zeit viral. Warum, habe ich mich gefragt? Könnte es sein, dass die Geschichte ein Indikator dafür ist, dass die chinesische Bevölkerung allmählich ein Bewusstsein für Tierschutz und Tierrechte entwickelt? Um die Geschichte im Gesamtkontext betrachten zu können, warf ich in meinem Artikel zunächst einen Blick auf die gegenwärtige Situation der Tierrechte in China, die viele Menschen nicht mehr länger akzeptieren wollen. So beginnen alle meine Artikel: Mit der Frage, was die Chinesen über ein bestimmtes Thema denken.
Welche Bedeutung hat die Interaktion mit Ihren Lesern für Sie und wie gehen Sie mit Kritikern um?
Ich bin stets dankbar für Feedback, egal ob positiv oder negativ. Was ich jeweils daraus mache, liegt an mir. Wenn ich zum Beispiel von meinen Lesern den Hinweis bekomme, dass ich bei einem Thema bestimmte Aspekte nicht berücksichtigt hätte, und ich stelle fest, dass sie recht haben, dann überarbeite ich den betreffenden Artikel eben und ergänze ihn um die fehlenden Punkte. Allerdings bin ich auch der Ansicht, dass es hin und wieder nicht schaden kann, wenn sich die Leser an meinen Artikeln stoßen oder reiben, insbesondere, wenn sie Themen behandeln, die meiner Meinung nach mehr öffentliche Beachtung verdienen. So erhielt ich unlängst massive Kritik im Netz, weil ich einen Artikel über das Down-Syndrom in China mit „Der letzte Downer – China und das Ende des Down-Syndroms“ betitelt habe. Trotzdem finde ich, dass es der richtige Titel für meinen Artikel ist. Nicht nur, weil er eine Anspielung auf eine niederländische Fernsehsendung mit dem Titel „Der letzte Downer“ ist, auf die ich in dem Artikel auch eingehe, sondern auch wegen der Art und Weise, wie die Chinesen mit dieser Krankheit umgehen. So werden zum Beispiel schwangere Frauen, deren Babys vom Down-Syndrom betroffen sind, massiv zur Abtreibung gedrängt. Wenn also manche Menschen den Titel meines Artikels als unpassend oder geschmacklos empfinden, dann ist es vielleicht gar nicht so sehr der Titel, an dem sie sich stoßen, sondern der allgemeine Umgang der chinesischen Gesellschaft mit dieser Krankheit.
Waren Sie aufgrund ihrer Arbeit jemals Anfeindungen, Drohungen oder Shitstorms ausgesetzt?
Hin und wieder taucht schon mal der eine oder andere Verrückte auf Twitter auf. Aber glücklicherweise ist bislang nie etwas ernstes dabei gewesen. Der einzige Artikel, der mir reichlich negative Kommentare eingebracht und zahlreiche Trolle auf den Plan rief, war der über die Scheidung von Wang Baoqiang – nebenbei bemerkt eines der meist diskutierten Themen auf Weibo seit vielen Jahren. Baoqiang ist ein berühmter Schauspieler, der sich von seiner Frau hat scheiden lassen, nachdem er ihr unterstellt hatte, sie würde ihn mit einem anderen betrügen. Auf Weibo veröffentlichte er unlängst ein Statement, in dem er erklärte, wie wichtig ihm seine Rolle als Vater ist und auch weiterhin sein wird. Im gleichen Atemzug jedoch beschimpfte er seine Ex-Frau Ma Rong aufs Übelste. Das passte für mich nicht zusammen und so fing ich an, seine Motive in Frage zu stellen: Wenn dir das Wohlergehen deiner Kinder so sehr am Herzen liegt, wie kannst du dann ihre Mutter öffentlich und vor Millionen von Menschen bloßstellen und mit Dreck bewerfen? Nachdem ich meinen Artikel über Baoqing veröffentlicht hatte, tauchten plötzlich reihenweise Fans von ihm auf und gingen im Internet auf mich los. Die meisten davon waren aber nur Trolle, die unter einer falschen E-Mail-Adresse posteten. Wenn Kritiker sich mit gefakten E-Mail-Adressen anmelden, betrachte ich sie generell als Internet-Trolle und verzichte auf jede Diskussion mit ihnen.

2016 wurde ihre Webseite in China gesperrt. Können Sie uns erzählen, was da los war?
Ich denke, sie wurde wegen eines Artikels über den oppositionellen Künstler Ai Wei Wei gesperrt, den ich kurz zuvor veröffentlicht hatte. Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Leser bei mir beschwerten, dass die Webseite innerhalb Chinas nicht mehr abrufbar sei. Einige Monate später war sie jedoch plötzlich wieder online und soweit ich weiß, ist sie das auch weiterhin. Aber in China kann man nie wissen – heute ist sie online, morgen kann sie schon wieder gesperrt sein.
Inwiefern, glauben Sie, hat China sich in den vergangenen Jahren verändert? Wie wirken sich diese Veränderungen auf ihre Arbeit als Journalistin aus?
China verändert sich laufend und es sind eben diese Veränderungen, die mich zu What’s On Weibo inspiriert haben. Es ist aber nicht nur die digitale Transformation des Landes, auch die Stadtbilder, die Einstellungen der Menschen und die chinesische Gesellschaft insgesamt verändern sich kontinuierlich. Nur mal als Beispiel: Es ist kaum sieben Jahre her, da gab es noch kein Weibo, kein WeChat, kein Didi (eine chinesische Taxi-App; Anm. des Autors) und kein Xiaomi (chinesischer Smartphone-Hersteller; Anm. des Autors). Eine ganze Reihe von Produkten und Dienstleistungen, die heute die chinesische Gesellschaft entscheidend prägen, existierten bis vor kurzem noch gar nicht. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie sie China bislang verändert haben und weiterhin verändern. Das ist der Stoff für meine Geschichten.
Welche Zukunft sehen Sie für Ihre journalistische Arbeit in China angesichts der zunehmenden Zensur und Einschränkungen ausländischer Medien?
Die Mehrheit meiner Leser stammt gar nicht aus China. Wenn also meine Webseite wieder von der chinesischen Regierung gesperrt würde, dann hätte das keine allzu großen Auswirkungen auf meine Arbeit. Was ich jedoch hoffe, ist, das die sozialen Netzwerke in China weiter wachsen werden. Solange sie gedeihen und solange Chinas Internet und digitale Entwicklung sich weiter entwickeln, wird What’s On Weibo auch weiter über soziale Trends in China berichten.
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